Kniebeugen - ein Klassiker der Fitness-Übungen

  • Kniebeugen - Kniebeuge, ein Klassiker! © Illustration: Peter Pisarik

(Egon Theiner) Es ist eine Übung, die wir alle kennen, die sich leicht ausführen lässt – und um die man dennoch allzu oft einen größeren oder kleineren Bogen macht. Das ist schade, befindet Sportwissenschaftler Mag. Gerhard Schiemer, weil die Kniebeuge auch so viele Vorteile besitzt.

Nun war und bin ich beileibe nicht unsportlich, doch mit dem „Trio Infernale“ des Turnunterrichts habe ich mich nur selten anfreunden können: 10 Liegestütze, 10 Strecksprünge, 10 Kniebeugen. Und das Ganze drei oder fünf oder zehn Mal. Das war im vorigen Jahrhundert, und auch wenn die Übungen heute Push-ups, Burpees oder Squats heißen, so ist mein Zugang dazu, nun ja: distanziert geblieben. Ich bin eben ein reiner Läufer, sage ich mir dann, alles andere drumherum ist vernachlässigbar. Im Innersten meines Herzens weiß ich, falsch zu liegen. Es sind sehr viele andere Dinge mehr, die einen ausbalancierten und rundum gesunden Läufer ausmachen.

Und die Kniebeuge gehört dazu!

In der heutigen Zeit, die geprägt ist vom Sitzalltag, kann sich ein Lauftraining allein nicht positiv auswirken. Wer morgens sportlich aktiv ist und dann den restlichen Tag im Sessel verbringt, dessen Herz-Kreislauf- und Stoffwechselsystem ist zwar gut trainiert, aber der Bewegungsapparat wird in seiner Beweglichkeit mit der Zeit eingeschränkt. Früher oder später können dann „laufspezifische“ Probleme auftreten, die jedoch vorrangig mit der Regeneration (aktiv oder sitzend) zu tun haben und nicht per se mit dem Laufen. Wer seinen Körper jedoch geschmeidig hält und die Gewebsflüssigkeiten mehrmals täglich austauscht, wird weniger Probleme in seiner Lieblingssportart haben. Das tägliche lange Sitzen wird ja heute bereits mit dem Rauchen verglichen, und welcher Läufer kann sich vorstellen, den ganzen Tag zu „qualmen“ außer beim Laufen? Um diesen Kreislauf zu unterbrechen, bietet die Kniebeuge alles, was wir brauchen, ohne Hilfsmittel, ohne Ausreden!

Eine Ode an die Kniebeuge

Die Kniebeuge ist kräftigend und mobilisierend, sie ist stabilisierend, bewegend und aktivierend und kann dynamisch oder statisch ausgeführt werden. Wir finden sie in der Rehabilitation, der allgemeinen Fitness und sportartspezifisch. Sie kann immer und überall ohne Hilfsmittel und Ausreden gemacht werden. Und das Schönste: Sie kennt kein Alter. Oh ist sie vielseitig, die Kniebeuge!

Die Kniebeuge bietet alles, was wir brauchen, ohne Hilfsmittel, ohne Ausreden.

Die Kniebeuge ist in der Tat eine Universalübung, mit der bei richtiger Ausführung die drei größten Gelenke des Körpers bewegt werden: die Hüfte, das Knie, das Sprunggelenk. Und das heißt, dass die Kniebeuge die Gewebsflüssigkeiten wie Öl durch den Unterkörper jagt, die Gelenkpartien schmiert und die Knorpel schützt. Diese Übung hält somit den Körper geschmeidig,
und wollen wir das nicht alle: uns, gleich, wie jung oder alt wir sind, gut und schmerzfrei bewegen und verbiegen zu können? Da die Kniebeuge eine Prophylaxe gegen Verletzungen und Überlastungen darstellt und für Kräftigung, Mobilisation und Beweglichkeit hauptsächlich von der Hüfte abwärts sorgt, werden aus Läufern (und nicht nur aus diesen) tatsächlich bessere Sportler.

Für eine Kniebeuge benötigt man kein einziges Hilfsmittel. Sie kann statisch oder dynamisch ausgeführt werden. Und sie ist viel mehr als das, an was wir alle jetzt gerade denken. Nämlich an: aus aufrechter Position mit waagrecht nach vorne gehaltenen Armen in die Hocke gehen und zum Ausgangspunkt zurückkehren. Dies ist nämlich nur eine, und zudem die einfachste, Ausführung einer Kniebeuge. Doch in diese Übung kann auch der Oberkörper miteinbezogen werden, wie Gerhard Schiemer weiß und erklärt.

Schiemer hat einem Klassiker neues Leben eingehaucht und ihn zu neuem Ruhm geführt. „Speziell der Bewegungsapparat wird durchs stundenlange Sitzen in seiner Funktion mit der Zeit immer stärker eingeschränkt“, sagt er, „und dem muss und kann man entgegenwirken!“ Die Inspiration dazu lieferte Österreichs wohl bester Ultra-Trailläufer Florian Grasel, der – man kann es nicht oft genug wiederholen – 2018 sensationell Neunter beim Ultra Trail du Mont Blanc wurde und in diesem Jahr den TDS („Sur les Traces des Ducs de Savoie“) rocken will. Grasel schwört auf Kniebeugen, sie machen ihn besonders in den Downhills schneller, weswegen er schon seit Jahren 10.000 Kniebeugen pro Monat macht, zumindest in der Vorbereitung auf seinen jeweiligen Saisonhöhepunkt. 10.000 ist eine schöne runde Zahl, sie findet ihr Äquivalent in den 10.000 Schritten, die man pro Tag zurücklegen soll für ein gesundes Leben, und in den 10.000 Höhenmetern, die rund um den Mont Blanc zu überwinden sind.

Schiemer hat Grasels Ansatz in ein massentaugliches Konzept verpackt, wobei die Quintessenz dieselbe ist. Damit die Kniebeuge auch nachhaltigen positiven Effekt erzeugt, reichen (leider) nicht ein paar Wiederholungen. Die (scherzhafte) Frage, die letzthin in den sozialen Medien gestellt wurde – nämlich: ob das Bücken nach einem zu Boden gefallenen Schokolade-Riegel auch als Kniebeuge zähle – ist so oder so obsolet. Es geht in der Tat nicht um 10 oder 50 oder 500 Kniebeugen, sondern um 10.000. Im Monat. Das sind also, sagen wir: 330 pro Tag. Plus eventuelle Extras am Monatsletzten.

Das klingt viel und ist es auch, aber nur so hat es Sinn. Doch was machen Ultraläufer wie Grasel oder auch Schiemer? Sie stückeln die Distanzen auf für das Gehirn verarbeitbare Portionen: bis zur nächsten Labe, bis zum höchsten Punkt, bis zum Drop-bag. Nichts anderes machen sie mit der unfassbar großen Zahl 10.000. Oder mit der immer noch großen Zahl 330.

Schiemer empfiehlt, sowohl in der Früh wie auch am Abend jeweils vier Wiederholungen à 20 Kniebeugen zu machen – ergibt schon einmal 160. Die restlichen 170 Squats lassen sich gut über den Tag hinweg verteilen, jede Stunde 20 Kniebeugen, und das Tagespensum ist geschafft. Aber Achtung, aller Anfang ist schwer! „Es kann nicht Sinn und Zweck sein, wie ein Florian Grasel starten zu wollen“, erklärt Schiemer, „deswegen gibt es auch Pläne für Einstiegs- und Aufbautraining und für Fortgeschrittene.“ Soll heißen: Im ersten Monat müssen es nicht unbedingt 10.000 sein.

Die Standardausführung der Kniebeuge, auch bekannt als Air Squat

Das Gesäß wird langsam und kontrolliert abgesenkt. Die Hüfte wird gebeugt und das Gesäß wie beim Hinsetzen auf einen Sessel nach hinten unten geführt. Die Spannung in der Brustwirbelsäule bleibt aufrecht! Der Blick ist geradeaus nach Vorne gerichtet. Den Fußinnenrand dezent anheben und somit die Außenränder belasten, um der Pronation (Nach-innen-Knicken) entgegenzuwirken.

So tief wie möglich in die Hocke gehen! Da es uns in erster Linie um die mobilisierende Wirkung geht und darum, Dysbalancen auszugleichen, muss die Oberschenkelrückseite zumindest nach hinten abfallen, also das Gesäß bis unter das Knie abgesenkt werden.
Wesentlich ist aber, die Kniebeuge nach oben hin fertig zu machen, um die Hüfte zur Gänze in die Streckung zu bringen. Hierfür ganz aufstehen und die Pobacken kurz zusammenkneifen!

Grundsätzlich riecht diese Grundform schon aus, um alle genannten Vorteile auszuschöpfen:
  • Beweglichkeit erhalten
  • Dysbalance ausgleichen
  • Verletzungen vorbeugen
  • Lauftraining unterstützen
  • Regeneration fördern

Kennen Sie die Schrittkniebeuge oder die dynamische Schrittkniebeuge? Oder die indische Kniebeuge? Die Anleitungen zu diesen und vieles andere mehr finden Sie im praktischen Ratgeber Gerhard Schiemers, der sich – erraten – „Die Kniebeuge“ nennt. Gerade in aktuellen Corona- und Lockdownzeiten sind diese Tipps wertvoll wie noch nie zuvor! Das Booklet gibt’s gratis zum Download. (Autor Gerhard Schiemer, Illustrationen von Peter Pisarik)

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